Exercícios de me ver or: Exercises of seeing oneself — Hudinilson Jr.’s (1957–2013) Xerox assemblages, collages, artist books, performances, and sculptures open up an intimate dialogue that leaves the singular body behind. Instead, he stages bodies as a multiple: multilayered sites where the self observes itself and others, where intimacy becomes spectacle, where public and private intermingle to the point of collapse.
„Exercícios de me ver“ oder: Übungen, sich selbst zu sehen — die Xerox-Montagen, Collagen, Künstlerbücher, Performances und Skulpturen von Hudinilson Jr. (1957–2013) eröffnen einen intimen Dialog, der das singuläre Subjekt hinter sich lässt. Stattdessen inszeniert er Körper als vielschichtige Spannungszonen (Zonas de Tensao), an denen das Selbst sich selbst und andere beobachtet, an denen Intimität zum Spektakel wird, an denen das Öffentliche und das Private bis zur Auflösung ineinanderfallen — sich aneinander reiben.
In recent years, as debates over visibility, self-representation, and the politics of the gaze have gained urgency, Hudinilson Jr.’s oeuvre feels contemporary — not only within its capturing, pure aesthetic. His art offers no simple narratives of liberation. Instead, it insists on the ambiguities of desire and the vulnerabilities of exposure — even more so in an era of omnipresent visibility. To see — and to be seen — remains, in his work, an act of both risk and possibility.
With this first solo exhibition, KOW is pleased to offer multi-faceted insights into Hudinilson Jr.’s work — an oeuvre that speaks with undiminished force to our present: intimate, fragile, defiant bodies at the intersection of the private and the public.
Active in São Paulo’s underground art scene since the late 1970s, Hudinilson Jr. created his work in the shadow of a repressive political climate. During Brazil’s military dictatorship (1964–1985), freedom of expression was curtailed, surveillance was omnipresent, and deviations from normative identities — whether political, sexual, or social — were often criminalized or driven underground. In this context, Hudinilson Jr., together with Mario Ramiro and Rubens Mano (Roba), co-founded the collective 3Nós3, whose ephemeral urban interventions in late-1970s São Paulo subtly unsettled the routines of public life, expanding his exploration of visibility, autonomy, and resistance beyond the private sphere. Their urban interventions — taping plastic sheets across public monuments, covering city structures with symbolic markers — fleetingly disrupted the dominant visual order of São Paulo’s streets, bringing private aesthetic strategies into public space, tracing the same questions of visibility, autonomy, and resistance across the city’s visual order.
In parallel, Hudinilson Jr. developed a unique artistic language of visibility that is at once intimate and defiant. Within his collages, artist books and xerox assemblages he repeats, fragments and reproduces his own body next to others and creates a space where the private becomes public, where the intimate act of looking at oneself turns into a sexually charged gesture of resistance. Fragments, distortions, and repetitions of his own skin create a shifting, unstable self-image, avoiding any fixed identity. His performances and textile sculptures emerge as quiet rituals of exposure and self-observation, where visibility is rehearsed as an act of both assertion and vulnerability.
Across various media, Hudinilson Jr. explored bodies in ongoing negotiation — between material and image, desire and absence, autonomy and social constraint. His tactile and restless aesthetic collapses the boundaries between surface and depth, private reverie and public gesture, singular identity and collective experience. His exercises can be read as sketches of a self that refuses to be fixed by external gazes, dogmas, or laws. In his Xerox collages and assemblages, often produced through acts of bodily proximity to the copy machine, the body is not merely depicted but physically inscribed into the work.
At the core of his practice lies a radical yet poetic proposition: that visibility itself is a contested terrain — a precondition to be seen, loved, desired. In an era when marginalized bodies were rendered invisible or exposed to punitive scrutiny, Hudinilson Jr. deployed the copy machine — a device of mechanical reproduction — to multiply and fragment his own body. These acts of self-replication were neither simple affirmations nor straightforward confessions. They were exercises: provisional, tentative, sometimes erotic, sometimes anxious rehearsals of presence.
Rather than retreating into invisibility, Hudinilson Jr. confronted forces of control and erasure head-on. His Billboard works, which transpose bodily intimacy into the urban sphere, point to structures of multiplication, circulation, and censorship — where desire and control compete within public space. They invite the public into a choreography of gazes. Looking at the artist, who looks at himself, who invites the world to look — but also to feel the fractures that every act of looking entails. Bodies are rendered unstable, desirous, estranged. And it is precisely in this factual ambiguity where Hudinilson Jr. finds a form of agency that might bring us closer to each other.
In den letzten Jahren, in denen Debatten um Sichtbarkeit, Selbstrepräsentation und die Politik des Blicks an Dringlichkeit gewinnen, zeigt sich Hudinilson Jr.s Werk bemerkenswert gegenwärtig — und das nicht nur durch seine formale Ästhetik. Seine Kunst erzählt keine einfachen Geschichten von Befreiung. Vielmehr besteht sie auf den Ambivalenzen des Begehrens und der Verletzlichkeit, die mit Sichtbarkeit einhergehen — umso mehr in einer Ära allgegenwärtiger Sichtbarkeit. Zu sehen — und gesehen zu werden — bleibt in seinem Werk ein Akt des Risikos wie auch der Potentiale.
Mit dieser ersten Einzelausstellung eröffnet KOW facettenreiche Einblicke in das Werk von Hudinilson Jr. — ein Œuvre, das mit ungebrochener Wucht in unsere Gegenwart hineinwirkt: intime, fragile und gleichsam widerständige Körper an der Schnittstelle zwischen privat und öffentlich, faktisch und poetisch.
Seit den späten 1970er-Jahren war Hudinilson Jr. in der Underground-Kunstszene São Paulos aktiv – und schuf sein Werk im Schatten eines repressiven politischen Klimas. Während der brasilianischen Militärdiktatur (1964–1985) waren die Meinungsfreiheit eingeschränkt und Überwachung allgegenwärtig. Abweichungen von normativen Identitäten – ob politisch, sexuell oder sozial – wurden kriminalisiert oder ins Unsichtbare gedrängt. In diesem Kontext gründete Hudinilson Jr. gemeinsam mit Mario Ramiro und Rubens Mano (Roba) das Kollektiv 3Nós3, dessen ephemere urbane Interventionen im São Paulo der späten 1970er die Routinen des öffentlichen Lebens subtil störten und die Auseinandersetzung mit Sichtbarkeit, Autonomie und Widerstand über den privaten Raum hinaus in die Öffentlichkeit trugen. Ihre Eingriffe — etwa das Verhüllen öffentlicher Denkmäler mit Plastikfolien oder das Markieren städtischer Strukturen mit symbolischen Zeichen — intervenierten in die visuelle Ordnung der Großstadt und überführten private ästhetische Strategien in den öffentlichen Raum.
Parallel dazu entwickelte Hudinilson Jr. eine eindrückliche künstlerische Sprache der Sichtbarkeit – zugleich intim und widerständig. In seinen Collagen, Künstlerbüchern und Xerox-Montagen wiederholt, fragmentiert und reproduziert er seinen eigenen Körper neben anderen – und schafft Räume, in denen das Private öffentlich wird, in denen der wiederholte Akt des Sich-selbst-Betrachtens zu einer sexuell aufgeladenen Geste des Widerstands wird. Fragmente, Verzerrungen und Wiederholungen seiner eigenen Haut erzeugen ein gleitendes, instabiles Selbstbild, das sich jeder festen Identität bewusst entzieht. Seine Performances und textilen Skulpturen erscheinen als stille Rituale der Selbstbeobachtung, in denen Sichtbarkeit zwischen Behauptung und Verletzbarkeit erprobt wird. Gleichsam werden sie zu Spuren einer begehrten, entlegenen Körperlichkeit, die unmittelbar Ausdruck findet.
In unterschiedlichen Medien erforschte Hudinilson Jr. den Körper als ein in ständiger Verhandlung befindliches Terrain – zwischen Material und Bild, Begehren und Abwesenheit, Autonomie und gesellschaftlicher Einschränkung. Seine taktile, rastlose Ästhetik lässt die Grenzen zwischen Oberfläche und Tiefe, privatem Traum und öffentlicher Geste, individueller Identität und kollektiver Erfahrung verschwimmen. Seine Exercícios lassen sich als Skizzen eines Selbst lesen, das sich nicht durch Blicke, Dogmen oder Gesetze festschreiben lässt. In seinen Xerox-Collagen und -Montagen, oft im direkten körperlichen Kontakt mit dem Kopierer entstanden, wird der Körper nicht bloß dargestellt – er wird physisch in die Arbeit eingeschrieben.
Im Zentrum seiner Praxis steht ein radikaler und zugleich poetischer Vorschlag: dass Sichtbarkeit ein umkämpftes Terrain bleibt – eine Voraussetzung, um gesehen, geliebt, begehrt zu werden. In einer Zeit, in der marginalisierte Körper unsichtbar gemacht oder einer strafenden Beobachtung ausgesetzt wurden, nutzte Hudinilson Jr. den Kopierer – ein Gerät mechanischer Reproduktion – zur Vervielfältigung und Fragmentierung seines eigenen Körpers. Diese Akte der Selbstreplikation sind weder einfache Selbstbehauptungen noch eindeutige Bekenntnisse. Es sind Übungen: provisorische, tastende, teils erotische, teils verunsicherte Erprobungen von Präsenz.
Anstatt sich in Unsichtbarkeit zurückzuziehen, stellte sich Hudinilson Jr. den Kräften von Kontrolle und Auslöschung frontal entgegen. Seine Billboard-Arbeiten, in denen körperliche Intimität in den urbanen Raum überführt wird, verweisen auf Strukturen von Vervielfältigung, Zirkulation und Zensur – auf das Spannungsfeld von Begehren und Kontrolle im öffentlichen Raum. Sie laden das Publikum zu einer Choreografie der Blicke: auf einen Künstler, der sich selbst betrachtet und die Welt dazu auffordert, zu blicken – und zugleich die Brüche zu spüren, die jeder Blick mit sich bringt. Denn Körper erscheinen instabil, begehrend, entfremdet. Und gerade in dieser faktischen Ambiguität findet Hudinilson Jr. eine Form von Agency, die verbindet.
- Current
- Upcoming
- 2025
- 2024
- 2023
- 2022
- 2021
- 2020
- 2019
- 2018
- 2017
- 2016
- 2015
- 2014
- 2013
- 2012
- 2011
- 2010
- 2009